Es gibt viele Gründe für männliche Unfruchtbarkeit. Neben ungünstigen Lebensstilfaktoren wie der Konsum von Alkohol und Nikotin, eine schlechte Ernährung, Stress und Umweltgifte sind in manchen Fällen auch bestimmte Krankheiten dafür verantwortlich, dass der Mann zeugungsunfähig ist; in seltenen Fällen kann die männliche Infertilität durch genetische Anomalien hervorgerufen werden.
Das Klinefelter Syndrom
Diese genetische Erkrankung, die nur männliche Neugeborene betrifft, wurde 1942 von dem amerikanischen Arzt Harry Klinefelter erstmal beschrieben. Beim Klinefelter Syndrom handelt es sich um eine Chromosomenfehlverteilung, die durch eine bestimmte Störung in der Zellteilung hervorgerufen wird. Betroffene Männer verfügen nicht nur über 46 Körperchromosomen, sondern über ein zusätzliches X-Chromosom. Es ergibt sich somit eine XXY-Chromosomenanordnung statt einer XY-Anordnung. Einer von 900 männlichen Säuglingen kommt mit diesem Gendefekt zur Welt.
Symptome
Erste Anzeichen für das Klinefelter Syndrom zeigen sich meist erst in der Pubertät. Buben, die diesen Gendefekt haben, leiden unter Testosteronmangel, wodurch die Pubertät verzögert einsetzt und nicht komplett abgeschlossen wird. Männliche Körpermerkmale wie Bartwuchs, eine tiefe Stimme und Sekundärbehaarung sind nur schwach ausgeprägt, auch die Libido kann reduziert sein. Der Körper sieht oft weiblich aus, auch leichte Brüste (Gynäkomastie) sind typisch. Hoden und Penis sind unterdurchschnittlich klein, auf der anderen Seite sind diese Männer meist überdurchschnittlich groß und verfügen über eine erhöhte Beinlänge. Junge Männer mit Klinefelter Syndrom leiden oft unter anderen Erkrankungen wie Osteoporose, Diabetes mellitus oder Herzfehlern. Da diese Symptome nicht zwangsläufig auftreten müssen oder nicht immer erkannt werden, wird eine Diagnose oft erst spät gestellt, nämlich dann, wenn ein unerfüllter Kinderwunsch existiert.
Behandlung
Mit Hilfe einer Hormonsubstitution durch spezielle Testosteronpräparate kann ein Ausgleich des Hormonhaushalts bei erwachsenen Männern mit Klinefelter Syndrom erzielt werden. Für die Betroffenen bedeutet dies meist eine Steigerung der Lebensqualität und eine erhöhte Maskulinität. Muskelmasse- und kraft sowie Knochendichte verbessern sich, auch eine Normalisierung des Blutbildes und Zuckerstoffwechsels ist möglich, ebenso kann eine fehlende Libido wieder angekurbelt werden. Die Wahl des richtigen Präparates und der Zeitpunkt, zu dem die Therapie begonnen wird, ist von Patient zu Patient unterschiedlich und muss regelmäßig überwacht werden. Es herrschen unterschiedliche Auffassungen darüber, wann eine Substitution mit Testosteron erfolgen soll: Einiges spricht für einen frühzeitigen Beginn bereits im Pubertätsalter, jedoch gibt es darüber zu wenige kontrollierte Studien. Die Gefahr bei einem Hormonersatz besteht jedoch darin, dass dieser eine Unterdrückung der körpereigenen Testosteronproduktion und Samenbildung zur Folge haben kann.
Diagnose Unfruchtbarkeit
Aufgrund des herrschenden Testosteronmangels können Männer mit Klinefelter Syndrom nur in den seltensten Fällen Kinder zeugen, da keine Spermien produziert oder nur eine geringe Anzahl von funktionsfähigen Spermien gebildet werden, die für eine Befruchtung jedoch nicht ausreichen. Bei über 90 Prozent der Betroffenen liegt eine Azoospermie (im Ejakulat befinden sich keine reifen Spermien) vor.
TESE und ICSI: Erfolgsversprechende Verfahren zur Realisierung des Kinderwunsches
Bei Männern mit Klinefelter Syndrom besteht einerseits die Möglichkeit, lebensfähige Spermien aus dem Ejakulat zu gewinnen und die weibliche Eizelle mit Hilfe einer ICSI zu befruchten. Die Erfolgschancen hierbei sind jedoch extrem gering. Deutlich bessere Ergebnisse können durch eine TESE (testikuläre Spermieninjektion) erzielt werden.
Unter TESE versteht man die operative Gewinnung von Spermien aus den Hoden. Bei diesem Verfahren erfolgt ein chirurgischer Eingriff, der in den meisten Fällen ambulant und unter Voll- oder Teilnarkose durchgeführt wird. Dabei wird der Hoden (entweder ein- oder beidseitig) mit Hilfe eines Schnitts freigelegt und daraus Biopsien entnommen Zunächst wird untersucht, ob der Mann über Spermien im Hodengewebe verfügt. Anschließend werden die durch die Operation gewonnen Gewebestücke mit den Spermien tiefgefroren. Nachdem der werdenden Mutter Eizellen entnommen wurden, kann das eingefrorene Hodengewebe aufgetaut werden und die extrahierten Spermien mit Hilfe einer ICSI in die Eizelle gespritzt werden. Die Erfolgsrate ist grundsätzlich höher, wenn statt der konventionellen TESE, die sich in den letzten Jahren durchsetzende mikrochirurgische TESE (M-TESE) angewandt wird. Bei rund 70 bis 90 Prozent der Männer können durch eine TESE Spermien aus den Hoden gewonnen werden. Mögliche Komplikationen nach der Operation könnten Blutungen, Schwellungen, Schmerzen oder eine Infektion des Nebenhodens beinhalten, diese kommen jedoch sehr selten vor. Die Erfolgschancen bei einer TESE sind sehr gut: Rund die Hälfte der bisher Betroffenen mit Klinefelter Syndrom, konnte durch das Verfahren eine Schwangerschaft und Lebendgeburt erzielen.
Eine Studie, die von Schiff et al vom Cornell Medical Center in New York im Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism veröffentlicht wurde, zeigte, dass von insgesamt 42 Männern mit Klinefelter Syndrom, die sich 54 Simultan-These-Prozeduren unterzogen, bei 39 der Operationen Spermien gefunden werden konnten; dies ergibt eine Rate von 69 Prozent. Nach den anschließend durchgeführten ICSI-Behandlungen konnten 21 Kinder lebend geboren werden, das ergibt eine „baby-take-home“ Rate von 46 Prozent. Alle diese Babys verfügten zudem über einen normalen Chromosomensatz.
Jüngere Männer haben bessere Chancen
Da jüngere Patienten mit Klinefelter Syndrom eher über Spermien in ihren Hoden verfügen, kann es ratsam sein, schon im Pubertätsalter Gewebe zu entnehmen und dieses einfrieren zu lassen (Krykonservierung). In diesem Fall sollte jedoch erstmal keine Substitution mit männlichen Hormonen erfolgen, da Testosteron die Spermienbildung unterdrückt. Viele Männer mit Klinefelter Syndrom haben Angst, dass sie die chromosomale Fehlverteilung an ihre Nachkommen weitergeben. Dies ist jedoch nur sehr selten der Fall. Es existiert kein hohes genetisches Risiko für Kinder von Vätern mit Klinefelter-Syndrom. Um Risiken auszuschließen, sollte dennoch eine invasive genetische Pränataldiagnostik in Erwägung gezogen werden.